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Gianluca Casseri, der Mörder von Florenz

Der Psychiater Stefano Pallanti nannte ihn den „italienischen Breivik“. Gemeint ist Gianluca Casseri, der am 13. Dezember 2011 in Florenz zwei senegalesische Immigranten erschoss und drei weitere teils schwer verwundete, bevor er sich in seinem Auto selbst tötete. Bis dahin hatte er sich im Umfeld des „Casa Pound“ in Rom einen Namen gemacht, mit Artikeln auf deren Website und verquast-rechter Literatur mit einem Hang zum Esoterischen. Zudem war er bis zu dessen Einstellung im Jahr 2005 Herausgeber der Publikation „La Soglia“ (die Schwelle) und Mitglied des Kulturvereins „La Runa“ – (ich denke die Übersetzung erübrigt sich hier), für den er Artikel wie „Dracula, Krieger Wotans“ oder „Der Weise von Alessandria“ veröffentlichte.

Beschrieben wird der 50-jährige Buchhalter aus der Provinz Pistoia als introvertierter Einzelgänger, fasziniert von keltischen Riten, Neopaganismus, Tolkiens Fantasy und arischen Herrenrassen, der in seinen Schriften auch gern Fantasy-Einschläge mit faschistischem Gedankengut verwickelte. Im Umfeld des Casa Pound wurde der Mann mit dem rundlichen Gesicht eher als „einsamer Wolf“ gesehen als als Mitglied neofaschistischer Schlägertrupps. Ein intellektueller Ideologe der Herrenrasse, Kenner der neofaschistischen Bewegungen und Analytiker von deren Gründungsmythen. Als großer Comic-Liebhaber referierte er im Casa Pound wiederholt über seine Lieblingscharaktere Tex und Tin Tin.

Autobiografisch beschreibt sich der Mann, der gern in der dritten Person von sich spricht, so:

„Er wird 1961 in Ciriegio (PT) geboren, während der Mensch in den Weltraum fliegt und der Himmel sich in der größten Sonnenfinsternis des XX. Jahrhunderts verdunkelt. Im Alter von 12 Jahren, überwältigt von der Begegnung mit H.P. Lovecraft, entfernt er sich endgültig aus dem ihn umgebenden geordneten Kosmos. Seine vielfältigen Interessen im Bereich Fantasy, alle rigoros nicht aktuell, reichen von Flash Gordon bis zum Sci-Fi-Kino der 50er Jahre, von den Autoren der Weird Tales bis zu Val Newtons Filmen und darüber hinaus. Im Jahr 2001, zu Zeiten des endgültigen Durchbruchs des Internets, hat er die geniale Idee, eine Printzeitschrift herauszubringen, La Soglia, wo er seine multimedialen Manien auslebt. Um sich von den ernsten Dingen des Lebens abzulenken scheint es, als wäre er Buchhalter.“

In den „Protokollen des Weisen von Alessandria“ legt er die antisemitische Theorie der jüdischen Weltverschwörung aus den „Protokollen der Weisen von Zion“ neu auf und würzt das mit den extremsten Anwandlungen der Holocaust-Leugner. Angelegt als polemische Antwort auf Umberto Ecos „Der Friedhof in Prag“ bekräftigt er in dem Buch die absolute Aktualität des Standardwerks der Verschwörungstheorien. In anderen Schriften vermengt er Nietzsche, Freud und Evola in einer Verteidigung der arischen Herrenrasse und des reinen, vor-christlichen Europas. Im gemeinsam mit Enrico Rulli verfassten „La Chiave del Caos“ (Der Schlüssel des Chaos) verkocht er schwarze Magie und Esoterik zu einer Art „historischem Roman“.

Den Titel entlehnt er womöglich seinem verehrten „Gelehrten“, dem Theoretiker des Neofaschismus Adriano Romualdi, der 1973 bei einem Verkehrsunfall starb. Romualdi erklärt die Wurzeln Europas aus der Symbolik der germanischen Mythen und fordert, dass „man nicht aufhören darf, auf seine innere Stimme zu hören, die fordert, Ordnung zu schaffen und zu unterstützen. Midgard – die Mittelerde, die Welt der Menschen – muss jedenfalls gegen Utgard verteidigt werden, gegen die Kräfte des Chaos, die aus der ‚Außenwelt‘ drohen.“ Obacht, Romualdi und Casseri meinen das durchaus ernst, eine „neue europäische Spiritualität“, basierend auf den (germanischen) „Wurzeln Europas“ soll die Volksgesundung herbeiführen. Durch Abwehr der „von außen“ eindringenden feindlichen Kräfte selbstverständlich.

Offenbar nahm Casseri das Schicksal Europas in seine eigene Hand, als er die beiden senegalesischen Wochenmarkt-Verkäufer erschoss, am San Lorenzo-Markt drei weitere verletzte und sich dann, von der Polizei umstellt, im unterirdischen Parkhaus im Herzen der toskanischen Hauptstadt mit seinem .357 Magnum in den Mund schoss. Selbstverständlich distanziert sich „Casa Pound“ nun von ihm und beschreibt ihn als Verrückten. Aus der Gruppe Giovanni Iannone wird vermeldet, er wäre nur „Sympathisant“ gewesen, „keinesfalls ein Aktivist“, ein Einzelkämpfer also, der nicht direkt mit dem Casa Pound verbunden gewesen wäre. Na dann ist es ja gut. Erstaunlich nur, dass er mehrere Artikel in deren „Ideodromo“ veröffentlichen durfte (jetzt natürlich weitgehend von der Seite entfernt), das die ideologischen Leitlinien des Casa Pound Italiana entwirft. Auch der Circolo „Sur Les Murs“ in Pistoia, irgendwo zwischen der „sozialen Rechten“ und „Giovane Italia“ verortet und Berlusconis „Volk der Freiheit“ verbunden, wo Casseri mehr als einmal zu Diskussionveranstaltungen eingeladen war, fällt nur „Wahnsinn“ ein. Kohärenter nimmt sich das Statement der Storm Front aus: „Casseri einer von uns“.

Ein pseudointellektueller Buchhalter in den besten Jahren also, der in seinen Texten von jüdischer Weltverschwörung faselt, teils durchaus komplexe Pamphlete verfasst, die dazu aufrufen, dass das weiße Europa sich wieder auf seine nordischen Gründungsmythen berufen muss, um zu gesunden. Der die nordischen, germanischen Rassen ständig vom „Chaos“ der Außenwelt bedroht sieht, gegen das es sich zu verteidigen gilt. Der den Holocaust leugnet. Soweit ist doch alles in Linie mit seinen Kameraden, nicht zu erkennen, warum Casseri jetzt plötzlich verrückt sein soll, wenn er mit einer Tat genau das ausdrückt, was er in seinem Umfeld seit Jahren propagierte. Und in der Tat schwanken die Kommentare in den einschlägigen Foren auch eher zwischen „Held“ und „Idol“ und auch das Casa Pound selbst wird wegen der posthum vorgenommenen Distanzierung vom Mörder kritisiert: „Schande!“

Allein sein „literarisches Werk“ hatte nicht den gewünschten Erfolg. Der als verschlossen beschriebene Casseri fand weder im Web noch auf der Straße die gewünschte Gefolgschaft. Im Dezember 2004 beklagt er sich angesichts der Aufgabe seiner Publikationen über einen Mangel an „Publikum“ und dass das „Milieu“ bis auf ein paar versprengte Gruppen nicht mehr existiert. Womöglich trafen sein Stil und die Intellektualität seiner Texte nicht den Nerv der italienischen Neofaschisten, inhaltlich war er ganz bei ihnen. Und es wäre grundfalsch, den Bekräftigungen des „Casa Pound“ Glauben zu schenken, dass der geschätzte Redner und Autor nun plötzlich durchgedreht wäre, nur weil er seine Gedanken in die Tat umgesetzt hat. In Casseri ist nicht das Irrationale explodiert, sondern er ist nur ein Teil einer weit beunruhigenderen Entwicklung, die über Norwegen und Sachsen nun auch in der Toskana ihre Entsprechung findet. Saverio Ferrari vom „Osservatorio Democratico“ beschreibt das so:

„Im Moment gibt es eine Beschleunigung in ganz Europa und hier in Italien befinden wir uns in einer Phase der Veränderung, weil seit einiger Zeit unsere mit dem Faschismus verbundene Symbolik durch die radikalere und gefährlichere des Neonazismus abgelöst wird, der nichts mit der Symbolik, der Kultur und der Propaganda der italienischen Rechten zu tun hat. Und hierbei gibt es eine objektive Verantwortung derjenigen, die dieser Evolution gegenüber eine Blöße zeigen. Roms Bürgermeister Alemanno, der Präsident der Provinz Mailand Guido Podestà, um zwei Namen aus den Institutionen zu nennen, die diese rechtsextremen Bewegungen unter ihren beschützenden Flügel genommen haben indem sie ihnen Raum zum leben, wachsen und wandeln in noch radikalere Formen gegeben haben. Die an einem Tag explodieren, auf einem Marktplatz in Florenz.“

3 Antworten auf „Gianluca Casseri, der Mörder von Florenz“

Saverio Ferrari reproduziert hier die alte Mär vom »guten« Faschismus und dem »schlechten« Nationalsozialismus… diese Sichtweise ist entschieden abzulehnen, weil sie erst zur Verharmlosung und Duldung von Gruppierungen wie CasaPound geführt hat.

Sehr richtig, was die Bewertung angeht und auch für mich liegt die Kernproblematik der gewalttätigen Bekämpfung alles "Anderen" in beiden gleichermaßen angelegt. Ich will auch gar nicht weiter darauf eingehen, was von beiden weniegr schlecht sein soll. Nur für die Duldung von Projekten wie Casa Pound fallen mir noch ein paar andere Gründe ein.